Sonntag, 9. März 2025

Die Merzwerdung – eine Bildbeschreibung



Essay: Wie ein Foto von Friedrich Merz die Gedanken verändert. Eine Geschichte über die Macht der Bilder.



Überall Bedeutung. Überall Versprechen. Überall Ewigkeiten. Ein Konfettiregen aus Fotos und Videos rieselt auf mich ein. Ich hocke am Pariser Flughafen und vertreibe mir die Zeit bis zu meinem Abflug auf Instagram, LinkedIn und TikTok. Kein Bild behalte ich in meiner Erinnerung. Das Auffegen geht immer schneller. Zwischen jetzt und gleich bleiben mir ein paar Minuten. In solchen Momenten google ich Dinge, die mich interessieren. Der Bundestagswahlkampf hat mich erfasst. Meine Neugier trifft Friedrich Merz. Laut Umfragen wird er der neue Kanzler. Es wird Zeit, ihn besser kennenzulernen. Ich überfliege die Suchergebnisse. In meinem ersten Berufsleben war ich Fotoredakteur. Längst vergessene Instinkte melden sich zurück. Ich mache eine Google-Bildersuche: Merz beim Wandern, mit seiner Frau Charlotte, im Bundestag, im Büro, mit Persönlichkeiten, in Meetings oder als Pilot im eigenen Flugzeug. Wenig Privates wird mir angezeigt. Bis auf ein Bild. Gerne würde ich es mir näher anschauen, aber mein Flug wird aufgerufen. Ein Screenshot für später muss reichen. Meine Recherche verschwindet mit dem Flugmodus aus meinem Sinn. Der Wahlsonntag rückt näher. Ich sitze am Schreibtisch und überlege, was ich hier auf Ponysülze schreiben kann. Mir schwebt eine Kurzgeschichte über einen Karpfen und eine alte Frau vor. Weit komme ich nicht. Gelangweilt von meinen eigenen Worten, greife ich zum Handy und flippe durch meine Fotoalben. Der Merz-Screenshot aus Paris taucht wieder auf. Ich ziehe das Foto groß. Damals in den Redaktionen betrachtete ich mit der Lupe minutenlang Bilder. Mein Interesse galt Motiven, die viel Privates preisgaben. Ich hoffte, hier Heiligkeit zu finden. Heiligkeit versteckt sich nicht nur in Bildern, sie zeigt sich auch im echten Leben. Es ist ein Gefühl. Eine Entselbstung. Sie erfasst mich an windigen Ecken. Ein hysterisches Lachen aus einem Küchenfenster kann sie haben. In der Schule lenkte sie mich häufig ab. Auf einem gefrorenen Acker habe ich sie schon gefunden. Eine tanzende Haarlocke hinter einem Ohr besitzt sie. Bei meinen Dauerläufen im Regen hilft sie mir. In einem Nebensatz kann sie unvermittelt auftauchen. Hinter beschlagenen Fenstern ist sie sicher zu finden. Gestraffte Falten können sie vortäuschen. Jeden Pixel nehme ich mir vor. Vielleicht komme ich der Heiligkeit im Merz-Foto auf die Spur, wenn ich mir vorstelle, wie das Bild mit Merz entstanden sein könnte. Meine Gedanken verselbstständigen sich wie eine Herde, die aus meinem Herzen ausgebrochen ist und jetzt mein Hirn überrennt. Mein Kopfkino beginnt......

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